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Das Geheimnis
schlichter Schönheit
Wenn Ritchie Blackmore und Candice Night auf der Bühne stehen und
das Publikum mit ihnen zusammen Zeile um Zeile singt, dann fühlen sie
sich im Einklang mit dieser Welt. Dann wissen sie, dass es mehr Menschen
wie sie gibt, die sich für schöne Musik begeistern und in ihr
aufleben können. Menschen , die unter Musik etwas anderes verstehen
als das kommerzielle Kunstprodukt einer oberflächlichen Plattenindustrie.
Wenn Ritchie und Candice einen Blick in das Programm werfen, dass auf MTV
gezeigt wird, wundern sie sich, wie viel Stumpfsinn die Welt eigentlich erträgt.
Ritchie fragt sich, wie viele Retortenmelodien es noch geben muss, bevor
die Menschheit genug davon hat, und Candice kann sich, wenn sie den Ton des
Fernsehers abschaltet, über die in ewig gleicher Choreographie umher
springenden leicht bekleideten Frauen schier totlachen.
Insbesondere Amerika haben ebenjene Musik der Oberflächlichkeit und
durch sie die großen Konzerne fest im Griff, und so stellte es für
Blackmore´s Night in den letzten Jahren kein leichtes Unterfangen
dar, dort auf Tour zu gehen. Im Mai haben sie es totzdem wieder einmal gewagt
und – mal abgesehen von den Veranstaltern, die immer noch nicht wissen, welche
Halle das richtige Ambiente für diese Art von Musik bietet – verdiente
Lorbeeren geerntet.
„ Die Vereinten Statten scheinen tatsächlich allmählich ein Gefühl
für unsere Musik zu entwickeln“, meint Ritchie. Er sitzt neben Candice
in ihrem gemeinsamen Haus und hat genau zwei freie Wochen, bevor es erneut
auf Tournee geht – nach Europa, und damit auch nach Deutschland.
„Wir merken, wie wir immer mehr Resonanz bekommen“, nickt Candice bestätigend.
„Das stimmt mich sehr optimistisch. Vielleicht ist es ja der Beweis, dass
viele Amerikaner doch langsam genug von der ständig gleich klingenden
Retortenmusik haben und peu a´peu neue musikalische Bereiche für
sich entdecken. Man sieht bei unseren Konzerten auch immer mehr gewandetes
Publikum, was für mich ein deutlicher Beleg dafür ist, dass sich
die Menschen hier in Amerika zunehmend mit unserer Musik identifizieren.“
Während Blackmore´s Night in Europa hauptsächlich auf wunderschönen
historischen Burgen auftreten, um die passende Atmosphäre zu ihren
Kompositionen zu garantieren, müssen sie in den USA , mangels vergleichbarer
Bauwerke, in Mehrzweckhallen oder Rockclubs ausweichen.
„ Dort ist es natürlich viel schwieriger, eine entsprechende Stimmung
zu schaffen“, bedauert Candice ein bisschen. „ Aber mit etwas mehr Aufwand
gelingt uns auch das ganz gut, und man merkt, dass die Amerikaner es sehr
genießen. Auch wenn es in diesem Land keine jahrhundertealten Burgen
gibt, sind sie den Menschen dennoch nicht fremd. Auch amerikanische Kinder
lesen Märchen wie Dornröschen oder Rumpelstilzchen, und darin
ist schließlich viele von Burgen und Schlössern die Rede. Und
genau deswegen können auch Amerikaner dafür und für die Atmosphäre
, die ein solches Gebäude ausstrahlt, Faszination aufbringen.“
Ritchie schmunzelt.“ Mitunter ist diese Faszination sogar noch wesentlich
ausgeprägter als bei Europäern. In Europa gehören Burgen
ja fast zum normalen Landschaftsbild, und vielen fallen sie deswegen gar
nicht mehr großartig auf. Wer sie nur von Bildern oder Urlaubsaufenthalten
her kennt, begeistert sich oftmals viel stärker für sie, weil
er sie als etwas Besonderes empfindet.“
Apropos „Rumpelstilzchen“: Wenn Candice und Ritchie einmal für einige
Wochen auf Tour waren, dann empfängt sie bei ihrer Rückkehr eine
beleidigt schmollende Katze mit ebendiesem Namen. Doch auch das Musikerpaar
vermisst seinen Haistiger, wenn es auf Tour ist, ebenso wie ihm „on the
road“ sein gesamtes trautes Heim fehlt. „Heimweh ist für mich das Schlimmste
auf Tour“, verrät Ritchie. „ Es gibt während Tourneen nur ganz
wenige Tage, an denen wir frei haben und zudem in Hotels außerhalb
von Städten untergebracht sind Dort können wir in der Natur spazieren
gehen und unsere Batterien wieder aufladen. Ansonsten fährt man ja dauernd
nur von einer Stadt zur nächsten, und bringt dabei endlose Stunden auf
der Reise zu. Vor allem Flughäfen und die dortige Odyssee, bis man endlich
durch den Sicherheitsscheck gekommen ist, stressen mich immer unheimlich.“
Auch Candice sehnt sich auf Tour gelegentlich nach ihrem Häuschen
am Meer, nach dem Feuer, das sie nachts oft in ihrem Garten entzünden
und um das sie dann lange sitzen, und nach den Streifzügen durch den
Wald, wo sie dem Gesang der Vögel lauschen kann.
„Vögel faszinieren mich unglaublich“, gesteht sich lächelnd.
„Es gibt so viele verschiedene Arten, und sie alle sind auf ihre Weise anmutig und singen
so bezaubernd! Viele Menschen haben sich im Laufe ihres Lebens ja so weit
von der Natur entfernt, dass ihnen der Gesang eines Vogels gar nicht mehr
auffällt. Aber es lohnt sich wirklich, einmal ganz ruhig im Wald inne
zu halten und zu horchen. Im Vogelgesang versteckt sich eine ganz zauberhafte
Schönheit.“
In ihrer Schulzeit bemerkte Candice zum ersten Mal, dass viele ihrer Mitschüler
den Blick für die einfachen Dinge im Leben völlig verloren hatten,
und nahm sich damals vor, niemals so zu werden. Auch Ritchie hat, mit der
Alltagshektik unzufrieden, die Gitarre als zeitloses und simple – schönes
Instrument der Kommunikation für sich entdeckt und führt seitdem
ein Leben, in dem viel Platz für die feine Wahrnehmung purer, natürlicher
Schönheit bleibt. Auch wenn es in Kürze nach Europa geht, wird
er den Sinn für gute Unterhaltungen, malerische Landschaften und die
Kraft, die ihm die Natur gibt, trotz Termindruck nicht verlieren. Und selbst
auf den eher technischen Aspekt freut er sich:“ In Europa fließen 220
Volt aus den Steckdosen. In Amerika sind es nur 120. Ihr werdet mich jetzt
für komplett abgedreht halten, aber das macht auf Konzerten wirklich
einen Unterschied. Der Sound klingt bei 220 Volt viel klarer, und das ist
für unsere Musik von Vorteil.“
Sandra Eichner
Orkus 2003
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